Predigt S. Em. Joseph Kardinal Ratzinger in Wigratzbad

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst !
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn !

„Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat. An ihm laßt uns frohlocken und fröhlich sein“ (Ps 117, 24). Dieses leuchtende österliche Wort, mit dem die Kirche heute auf die Botschaft von der Auferstehung antwortet, ist einer alttestamentlichen Dankliturgie entnommen, die an der Tempelpforte gefeiert wurde und für uns in einem Psalm aufbewahrt ist, der ganz durchleuchtet ist vom Geheimnis Christi. Es ist der Psalm, dem auch das Benedictus und das Hosanna entnommen ist; ferner das Wort vom „Stein, den die Bauleute verwarfen“, der zum „Eckstein geworden“ ist. Das Besondere aber an diesem Psalm ist, daß die Rettung eines unbekannten einzelnen, der aus dem Tod wieder aufgestiegen ist zum Leben, die Tore des Heils neu aufstößt für das Volk und so die Rettung des einzelnen zur Liturgie des Dankes, zum neuen Beginn, zur neuen Sammlung von Gottes Volk für alle wird. Innerhalb des Alten Testamentes bleibt die Frage unbeantwortet, wer dieser einzelne ist. Erst vom Herrn her, von Jesus Christus her, erhält der ganze Psalm seine Logik, seinen deutlichen Sinn. Er ist es, der in der Tat in die Nacht des Todes hinabgestiegen ist, der von der ganzen Bedrängnis der Sünde und des Todes umgeben und zerschlagen war. Er ist es, der aufsteigend die Pforten des Heils aufgestoßen hat und uns nun einlädt, durch die Tore des Heils einzutreten und mit ihm dankzusagen. Er ist der neue Tag, Er selbst in Person, den Gott uns geschaffen hat; durch Ihn leuchtet Gottes Tag in die Nacht dieser Welt hinein. Der Ostertag und jeder Sonntag ist Gegenwärtigwerden dieses Tages, ist Begegnung mit dem lebendig Auferstandenen, der als Gottes Tag in unsere Mitte tritt und uns versammelt.

I.

Aber sehen wir nun an, wie der Evangelist, dessen Botschaft wir eben hörten, den Aufbruch und Anbruch dieses Tages schildert (Mk 16, 1-7). Da sind die Frauen, die zum Grabe gehen, die einzigen, die über den Tod hinaus das Wagnis der Treue vermögen; die einfachen und demütigen Seelen, die keinen Namen zu verteidigen, keine Karriere zu erstreben, keinen Besitz zu beschützen haben und die daher diesen Mut der Liebe haben, auch zu dem Geschändeten und nun Gescheiterten noch einmal hinzugehen, um ihm den letzten Dienst der Liebe zu erweisen. In der Eile des Rüsttages, beim Hereinbrechen des Festtages hatten sie nur das erste und Nötigste der Bestattung tun können, nicht die Riten zu Ende führen dürfen, die sie nun erst vollziehen möchten: die Totenklage, die am Fest nicht ertönen konnte und die ihn nun als Geleit der Liebe hinein ins Unbekannte tragen, ihn als Kraft der Güte schützen soll; dazu die Salbung, die wie eine vergebliche Gebärde der Liebe ist, die Unsterblichkeit geben möchte, denn Salbung zielt ja auf Bewahrung vor dem Tod, auf Bewahrung vor der Verwesung ab. Sie möchte den Toten gleichsam mit der ganzen Hilflosigkeit der Liebe im Leben halten und kann es doch nicht. So sind die Frauen gekommen, um ihm noch einmal die bleibende Liebe zu zeigen und ihn doch zu verabschieden ins Nicht-mehr-Wiederkehrende, in die Nacht des Todes hinein, aus der es keine Rückkehr mehr gibt.

Aber da sie ankommen, finden sie, daß ein anderer, eine andere und stärkere Liebe ihn gesalbt hat, daß an ihm das Psalmwort wahr geworden ist: „Ich lasse meinen Heiligen nicht die Verwesung schauen“ (Ps 15,10). Da Er selbst im Stromkreis der trinitarischen Liebe steht, war er gesalbt mit der ewigen Liebe, und so konnte Er nicht im Tode bleiben. Denn sie allein ist die Macht, die Leben ist und Leben gibt in Ewigkeit. So ist an ihm auch das andere Psalmwort bewahrt, das die Kirche bis heute als Eingangslied über die Messe setzt: „Ressurexi, et adhuc tecum sum – ich bin auferstanden, und ich bin immer noch bei dir. Denn du hast deine rechte Hand auf mich gelegt, du kennst mein Niedersteigen und mein Aufstehen“ (Ps 138, 18. 5. 1- 2). Im Alten Testament ist dies das Gebet eines halb-erschrockenen, halb-beglückten Beters, dem in seinem Ringen mit Gott klar wird, daß er nirgendwo Gottes Nähe entfliehen konnte. Wenn er über die Weltmeere zöge und wenn er in die Unterwelt abzusteigen vermöchte, wenn er glaubte, endgültig von Gott fort zu sein, dann würde er erst recht vor Gottes Angesicht stehen, der alles umspannt und dem nirgends zu entrinnen ist.

Was dort halb dunkel geblieben war, halb Furcht, halb Freude, ist nun endgültig in die große Gnade der göttlichen Liebe hinein erfüllt, denn Jesus vermochte das Unmögliche: Er hat alle Enden der Erde mit seiner Liebe ausgeschritten. Er ist hinabgestiegen in das Reich des Todes. Und weil er selbst der Sohn ist, darum ist mit ihm Gottes Liebe hinabgestiegen und überall gegenwärtig; darum ist er gerade im Hinabsteigen und als der Hinabgestiegene der, der aufersteht, der auferstanden ist und der nun sagen kann : „Resurrexi et adhuc tecum sum – Ich bin auferstanden, und ich bin immer noch und für immer bei dir.“

Er sagt dieses Psalmwort nun in doppelter Richtung. Er spricht es einerseits zum Vater hin: „Ich bin auferstanden, du bist immer bei mir, wie ich immer bei dir bin und die Natur des Menschen, das Menschsein nun hineingetragen habe in die ewige Liebe, so daß es durch mich immer bei dir ist“. Aber was dem Vater zugesprochen ist, sagt er zugleich zu uns: „Ich bin auferstanden und bin nun immer bei dir.“ Zu jedem einzelnen von uns sagt er es. Es gibt keine Nacht, in der ich nicht wäre. Und es gibt keinen Schrecken und keine Ferne Gottes, in der nicht ich da wäre. Sei getrost, ich bin auferstanden und bin immer und für immer bei dir. Mir scheint, wir sollten dies große Wort der Liturgie, das Christus aus dem Ahnen und Hoffen des Alten Testaments herausgenommen und in sein österliches Wort umgewandelt hat, tief in unser Herz eindringen lassen, und was immer geschieht, wissen, daß er es zu jedem von uns ganz persönlich sagt. Ja, „ich bin auferstanden, und immer bin ich bei dir“, wohin auch deine Wege führen.

II.

Die Frauen hatten, wir hörten es, den Begräbnisritus am Rüsttag im Hereinbrechen des Festtages nicht zu Ende führen können. Aber anderen war daran gelegen, daß er endgültig sei und daß dieser Jesus für immer verabschiedet sei und nicht wiederkehre: seinen Gegnern! Und so hatten sie, Juden und Heiden zusammen, dafür gesorgt, daß der Stein vor dem Grabe fest war und unbeweglich und versiegelt. Christus sollte für immer in die Vergangenheit verbannt sein, durch den undurchdringlichen Stein, damit er nicht wiederkehren könne.

Und das gleiche geschieht immer noch und zu jeder Zeit. Der Marxismus wollte den Stein des sogenannten wissenschaftlichen Materialismus gegen Christus stellen und zu seinem Grabe machen. Dieser Stein scheinbarer Wissenschaft sollte für immer den lebensspendenden Geist des Auferstandenen begraben, daß er der Vergangenheit angehöre und nicht störe im babylonischen Traum der sich selbst machenden Menschheit. Aber der Liberalismus und der praktische Materialismus der westlichen Welt tun im Grunde das gleiche. Mit aller Art von wissenschaftlichen Scheinbeweisen, mit den Naturgesetzen, die so etwas gar nicht zulassen können, wie man sagt, wollten auch sie das Siegel daraufsetzen, daß dieser Stein nicht zu öffnen ist und daß es aus diesem Stein kein Herauskommen gibt, so daß Christus kraft unserer Erkenntnis endgültig verbannt und abgeschlossen wäre in die Vergangenheit hinein, um uns nicht mehr zu „behelligen“. Aber Gottes Kraft ist mächtiger als alle Steine der Welt. Der Geist Gottes hat den Stein all dieser Mächte weggerissen. Christus ist auferstanden, und der Stein ist zum Tor geworden, durch das Gott hineintritt in die Welt und durch das wir hinausschauen zu ihm ; zum Tor, an dem wir nun wahrhaft Torliturgie, Liturgie des Dankes und der Freude feiern können. Das Tor der Auferstehung aber ist Gegenwart in der Eucharistie, in der immerfort Christi Tod und seine Auferstehung mitten in dieser Welt da sind, sie öffnen auf Gott. Denn was einmal geschehen ist, gilt immer. Die Mauer des Todes und die Mächte des Todes sind durchbrochen. Christus tritt herein, und wir dürfen in der heiligen Kommunion mit ihm hineintreten in seine Welt, in die Welt der Ewigen Liebe, die den Tod überwunden hat.

Immer wieder zeigt er es uns auch sinnenfällig, daß er, der lebensspendende Geist, stärker ist als alle Mächte dieser Welt. Da war doch der Marxismus mit seiner ganzen erschreckenden Macht, mit dieser wissenschaftlich ausgetüftelten Macht, Menschen zu überwachen und ihnen jede eigene geistige Bewegung unmöglich werden zu lassen; mit der ganzen waffenstarrenden Kraft seiner Armeen, seiner Polizei, seiner Wirtschafts- und Weltmacht, der gleichsam durch nichts zu bewegende Stein. Aber Christus hat ihn weggerissen. Die Divisionen Gottes, das heißt: die unscheinbare Schar der um ihres Glaubens willen Leidenden und Liebenden war stärker als die militärischen Divisionen mit allen erschrecklichen Waffen dieser Welt. Ja, Christus hat es uns neu gezeigt: Ich bin auferstanden und stärker als alle Mächte dieser Welt! Kein Stein, von wo immer er auch komme und wie mächtig er versiegelt sei, kann mir widerstehen.

III.

Schließlich ist da ein Drittes: Die Frauen kommen ans Grab, sie finden es leer, aber sie begegnen nicht dem Auferstandenen selbst, sondern ein Bote ist da: ein Engel Gottes, der ihnen sagt: „Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ Dieser Engel ist der Vorläufer der Evangelisten, der Apostel, er ist der Vorläufer der Priester und Bischöfe der Kirche, denen immerfort diese Aufgabe zukommt, vor dem weggerissenen Stein zu stehen und ihn zu deuten und zu verkündigen: Er ist auferstanden. Er ist auferstanden und nicht hier in der Welt des Todes. Er geht euch voraus. Und wer ihn hier sucht, in der Welt des Todes, findet ihn nicht. Wer ihn gleichsam, in die Hand nehmen und analysieren und mit Belegen durchschauen will, wie es manche wissenschaftliche Methoden der Auslegung der Schrift versuchen, der verbannt ihn ja in die Welt des Todes und will ihn in dem Toten, das man zerschneiden, zerlegen und unters Mikroskop nehmen kann, finden – und kann ihn dort natürlich nicht entdecken. Denn der Herr ist nicht tot, sondern, wie Paulus sagt, „lebensspendender Geist“ (1 Kor 15, 45). Er ist der Auferstandene, der das Fleisch in die Macht des lebendigen Gottes, des Heiligen Geistes, hineingetragen hat.

So ist er nicht totes Objekt, sondern er ist lebendige Bewegung des Lebens, und wir können ihm nur begegnen, indem wir uns von ihm führen und bewegen lassen. Wir können ihm nur begegnen, indem wir ihm nachgehen. „Er ist nicht hier. Er geht euch voraus nach Galiläa.“ Nur im Nachfolgen sehen wir ihn. Nur im Mitgehen wird er uns sichtbar und berührbar.

Gregor von Nyssa hat das einmal wunderbar ausgedrückt. Er schließt sich an jene geheimnisvolle Stelle des Alten Testaments an, wo Moses zu Gott sagt: „Ich möchte dich sehen.“ Und Gott antwortet ihm: „Mein Gesicht kann kein Sterblicher sehen. Aber meinen Rücken kannst du sehen“ (Ex 33, 18-23). Gregor von Nyssa fragt nun, was das bedeute und antwortet darauf: „Wer aber folgt, schaut den Rücken dessen, dem er folgt… Gott nachfolgen, wohin Er auch führt, ist : Gott sehen.“ Den Rücken Gottes sehen, heißt also nichts anderes als: Christus nachfolgen. Wir sehen Gottes Geheimnis, indem wir Christus nachfolgen, indem wir ihm gehorchen und gehorchend hinter ihm und so mit ihm gehen (Der Aufstieg des Mose, PG 44, 408D).

Wohin eigentlich? Da ist zuerst: Er geht voraus nach Galiläa. Er kehrt nach den Festtagen in Jerusalem wieder zurück in seine Welt, und das bedeutet: Wir gehen ihm nach, indem wir in unsere Welt hineingehen und dort von ihm Zeugnis ablegen. Wir können den Glauben selbst nur bewahren, indem wir ihn anderen geben. Nur im Geben empfangen wir ihn. Denn nur so sind wir Nachgehende.

Aber noch etwas Zweites steckt darin, das Paulus im Brief an die Kolosser in der Epistel der Osternacht sagt: „Sucht, was droben ist, wo Christus ist, der Auferstandene zur Rechten Gottes“ (vgl. Kol 3, 1f.) Dem Auferstandenen nachgehen heißt: Aufsteigen. Nachfolge Christi ist nicht nur irgendein moralisches Programm. Nachfolge Christi heißt, Ihm, dem Auferstandenen, in die Lebensgemeinschaft des dreifaltigen Gottes nachgehen. Und dies freilich kann kein Mensch aus sich selbst. Denn keine Kraft unserer Schritte oder unserer selbstgemachten Flügel reicht dorthin. Aber wir können so aufsteigen, indem wir mitleben in Christi lebendigem Leib, der Kirche, die als sein Leib immerfort in der Bewegung des Aufsteigens ist. Wir können es, indem wir in der Gemeinschaft der Sakramente, in der Gemeinschaft der heiligen Eucharistie uns von seinem Leib umfangen und tragen lassen. Nachfolge ist vor allen Dingen Glaubens- und Lebens- und Liebesgemeinschaft mit der lebendigen Kirche, mit der Gegenwart des Herrn im heiligsten Sakrament.

Daraus ergibt sich dann von selbst, daß wir in den Alltag diese Bewegung hineintragen und darin Aufsteigende sind; daß wir uns den Blick nicht bannen lassen auf die Dinge des Alltags hin, sondern daß wir über diese Horizontale hinauskommen, die Vertikale des neuen Aufbruchs zum lebendigen Gott, zum Auferstandenen hin wagen und so die Welt immer neu aufreißen, daß das Tor sichtbar werde, das er geöffnet hat; daß der Himmel auf die Erde hereinleuchte. Und nur so kann sie bewohnbar und menschlich sein, indem sie mehr als menschlich wird, indem sie sich dem Göttlichen, der Gnade des Auferstandenen öffnet.

 

„Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat. Laßt uns frohlocken und fröhlich sein.“ Wir wollen in dieser Stunde dem Herrn danken für die Gnade seines Lichtes, für den Tag seiner Auferstehung. Und wir wollen ihn bitten, daß die Freude der Auferstehung, das Licht dieses neuen Tages uns geleite immerfort, daß wir Ihm nachzugehen lernen und so sehend werden. Amen.