Protokoll über ein Einvernehmen zwischen S. Em. Joseph Kardinal Ratzinger und S. Exz. Erzbischof Marcel Lefebvre am 4. Mai 1988 angefertigt und am 5. Mai 1988 von den genannten unterzeichnet. Erzbischof Lefebvre hält sich nicht an das Einvernehmen und weiht am 30. Juni 1988 ohne Zustimmung Roms und gegen den Willen des Hl. Vaters die Bischöfe.
[Original: Französisch]
I. Text der doktrinalen Deklaration
Ich, Marcel Lefebvre, emeritierter Erzbischof-Bischof von Tulle sowie Mitglied der von mir gegründeten Priesterbruderschaft St. Pius X.,
1. verspreche der katholischen Kirche und dem Bischof von Rom, ihrem Obersten Hirten, dem Stellvertreter Christi, dem Nachfolger des hl. Petrus und seinem Primat als Oberhaupt der Gesamtheit der Bischöfe, immer treu zu sein;
2. erkläre, die in Nummer 25 der Dogmatischen Konstitutionen „Lumen Gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils enthaltene Lehre über das kirchliche Lehramt und die ihm geschuldete Zustimmung anzunehmen.
3. Hinsichtlich gewisser, vom Zweiten Vatikanischen Konzil gelehrten Punkte oder gewisser nach dem Konzil erfolgten Reformen der Liturgie und des Kultes, die uns mit der Tradition schwer vereinbar erscheinen, verpflichten wir uns, bei deren Studium und einem Vorbringen beim Heiligen Stuhl eine positive Haltung einzunehmen und jede Polemik zu vermeiden.
4. Wir erklären außerdem, die Gültigkeit des Meßopfers und der Sakramente anzuerkennen, die mit der Intention das vollbringen, was die Kirche vollbringt und nach den Riten zelebriert werden, die in den von den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. promulgierten offiziellen Ausgaben des römischen Meßbuches und den Ritualen für die Sakramente enthalten sind.
5. Schließlich versprechen wir, die allgemeine Disziplin der Kirche und die kirchlichen Gesetze zu achten, insbesondere die Gesetze des von Papst Johannes Paul II. promulgierten Kirchlichen Gesetzbuches, ungeachtet der der Bruderschaft durch ein besonderes Gesetz eingeräumten Sonderdisziplin.
II. Rechtsfragen
Aufgrund der Tatsache, daß die Priesterbruderschaft St. Pius X. seit 18 Jahren als eine Gesellschaft gemeinschaftlichen Lebens betrachtet wurde, sowie ausgehend vom Studium der von S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre formulierten Vorschläge und den Ergebnissen der apostolischen Visitation durch S. Em. Kardinal Edouard Gagnon, ist die am meisten geeignete kanonische Rechtsfigur für die Bruderschaft eine Gesellschaft apostolischen Lebens.
1. Eine Gesellschaft apostolischen Lebens
Eine solche Gesellschaft ist eine kanonistisch mögliche Lösung mit dem Vorteil, eventuell in die priesterliche Gesellschaft apostolischen Lebens auch Laien aufzunehmen (zum Beispiel Hilfsdienste leistende Brüder).
Nach dem 1983 promulgierten Kirchlichen Gesetzbuch, Kanones 731 – 746, genießt diese Gesellschaft volle Autonomie. Sie kann ihre Mitglieder ausbilden, die Geistlichen inkardinieren und gewährleistet das gemeinschaftliche Leben ihrer Mitglieder.
In den für sie bestimmten Statuten ist eine gewisse flexible und gestaltungsfähige, auf bekannte Formen solcher Gesellschaften apostolischen Lebens bezogene Exemption gegenüber den Diözesanbischöfen (vgl. Kanon 531) vorgesehen, soweit es den öffentlichen Kult, die cura animarum und die übrigen apostolischen Aktivitäten betrifft, unter Berücksichtigung der Kanones 579 bis 683. Die Jurisdiktion bezüglich der Gläubigen, die sich an die Priester der Bruderschaft wenden, wird diesen Priestern von den Ortsbischöfen oder vom Apostolischen Stuhl verliehen.
2. Die römische Kommission
Auf Veranlassung des Heiligen Stuhles wird eine Kommission für die Koordinierung der Beziehungen zu den verschiedenen Dikasterien und Diözesanbischöfen sowie für die Lösung eventueller Probleme und Streitsachen eingesetzt und mit den notwendigen Befugnissen zur Behandlung der oben angeführten Fragen ausgestattet (zum Beispiel hinsichtlich der Errichtung einer Kultstätte auf Bitten der Gläubigen an einer Stelle, wo es kein Haus der Bruderschaft gibt, ad mentem Kanon 383 § 2).
Diese Kommission wird aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und fünf Mitgliedern zusammengesetzt sein, davon werden zwei Mitglieder der Bruderschaft angehören.
Sie wird überdies die Aufgabe haben, die Festigung des Werkes der Wiederversöhnung zu überwachen, zu stützen und die Fragen bezüglich der religiösen Kommunitäten, die rechtlich oder moralisch mit der Bruderschaft verbunden sind, zu regeln.
3. Der Stand der mit der Bruderschaft verbunden Personen
3.1 Die Mitglieder der priesterlichen Gesellschaft apostolischen Lebens (Priester, Hilfsdienste leistende Laienbrüder) unterliegen den Statuten der Gesellschaft päpstlichen Rechts.
3.2 Die Oblaten und Oblatinnen, mit oder ohne private Gelübde, und die Mitglieder des Dritten Ordens, die mit der Bruderschaft verbunden sind, gehören einer Gesellschaft von Gläubigen an, die mit der Bruderschaft nach den Bestimmungen des Kanon 303 verbunden sind und arbeiten mit ihr.
3.3 Die Schwestern (das bedeutet, die von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründete Kongregation), die öffentliche Gelübde ablegen, werden ein reguläres Institut geweihten Lebens mit eigener Struktur und Autonomie bilden, selbst wenn man eine gewisse Form der Bindung mit dem Oberen der Bruderschaft hinsichtlich der Einheit der Spiritualität vorsehen kann. Diese Kongregation würde zumindest am Anfang von der römischen Kommission abhängen und nicht von der Kongregation für die Ordensleute.
3.4 Für die Mitglieder der Kommunitäten, die nach der Regel der verschiedenen Institute (Karmeliten, Benediktiner, Dominikaner, etc.) leben und individuell geistig an die Bruderschaft gebunden sind, ist es angebracht, ihnen von Fall zu Fall ein besonderes Statut zu gewähren, das ihre Beziehungen zu ihrem jeweiligen Orden regelt.
3.5 Die Priester, die aus persönlichem Titel moralisch an die Bruderschaft gebunden sind, werden ein persönliches Statut erhalten, in dem ihrem Streben und zugleich ihren Verpflichtungen, die sich aus ihrer Inkardination ergeben, Rechnung getragen wird. Die übrigen besonderen Fälle dieser Art werden von der römischen Kommission geprüft und gelöst werden.
Die Laien, die von den Kommunitäten der Bruderschaft die seelsorgerliche Betreuung erbitten, bleiben der Jurisdiktion des Diözesanbischofs unterworfen. Sie können sich jedoch, insbesondere hinsichtlich der liturgischen Riten der Kommunitäten der Bruderschaft, zur Spendung der Sakramente an diese Kommunitäten wenden (für die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Ehe bleibt die Notwendigkeit der Vollzugsmeldung an ihre zuständige Pfarre aufrecht, vgl. Kanones 878, 896, 1122).
Bemerkung
Es wird in diesem Fall die besondere Komplexität zu bedenken sein.
1. Die Frage des Empfanges der Sakramente der Taufe, der Firmung und der Ehe, die Laien in den Kommunitäten der Bruderschaft erhalten.
2. Die Frage der Kommunitäten, die nach der Regel dieses oder jenes Institutes leben, ohne ihm anzugehören. Es obliegt der römischen Kommission, diese Probleme zu lösen.
4. Die Priesterweihen
Bei den Priesterweihen sind zwei Phasen zu unterscheiden:
4.1 Für den Augenblick:
Zur Erteilung der Priesterweihen in der nächsten Zeit würde Erzbischof Marcel Lefebvre oder, wenn er dazu nicht in der Lage wäre, ein von ihm gebilligter anderer Bischof autorisiert sein.
4.2 Wenn die Gesellschaft apostolischen Lebens errichtet ist:
4.2.1 Soweit wie möglich und nach dem Urteil des Generaloberen wäre der normale Weg zu beschreiten: Ausstellung der Dimissorien an einen Bischof, der bereit ist, den Mitgliedern der Gesellschaft die Priesterweihe zu erteilen.
4.2.2 In Anbetracht der besonderen Lage der Bruderschaft (vgl. unten): Die Konsekration eines Bischofs, der Mitglied der Bruderschaft ist, und der außer anderen Aufgaben auch die Aufgabe wahrnimmt, Priesterweihen vorzunehmen.
5. Das Problem des Bischofs
5.1 Auf doktrinaler (ekklesiologischer) Ebene ist die Garantie der Stabilität und der Aufrechterhaltung des Lebens und der Aktivität der Bruderschaft durch ihre Errichtung als Gesellschaft apostolischen Lebens päpstlichen Rechts und die Approbation der Statuten durch den Heiligen Vater gewährleistet.
5.2 Aus praktischen und psychologischen Gründen erscheint jedoch die Konsekration eines Bischofs, der Mitglied der Bruderschaft ist, von Nutzen zu sein. Deshalb schlagen wir im Rahmen der doktrinalen und kanonistischen Lösung der Wiedersöhnung dem Heiligen Vater vor, einen aus der Bruderschaft ausgewählten und von Erzbischof Marcel Lefebvre vorgestellten Bischof zu ernennen. Aufgrund des oben angeführten Prinzips (5.1) ist dieser Bischof normalerweise nicht Generaloberer der Bruderschaft. Es erscheint jedoch günstig, daß er Mitglied der römischen Kommission ist.
6. Besondere Probleme (durch Dekret oder Deklaration zu lösen)
6.1 Aufhebung der suspensio a divinis von Erzbischof Marcel Lefebvre und Befreiung von der durch die Tatsache der Priesterweihe entstandenen Irregularität.
6.2 Vorsehen einer „Amnestie“ und einer Genehmigung für die Häuser und Kultstätten, die die Bruderschaft bis jetzt ohne Autorisierung der Bischöfe errichtet und benutzt hat.
Joseph Kardinal Ratzinger
Marcel Lefebvre